Tokajer – Wein der Könige, König der Weine | Ungarn

Wenn nur alle Geschichtsstunden so wie diese wären. Ich sitze im Keller eines Londoner Restaurants und vergleiche 20 Jahrgänge des köstlichen Tokaji Süßweines, angefangen beim jüngsten, aus dem Jahr 2013 bis zurück zum viel dunkleren 1993er, der den Beginn der Wiederbelebung von Ungarns bekanntester Weinregion markiert.

Die Unterschiede, einige sind subtiler, andere ausgeprägter, entstehen durch den Alterungsprozess und die Gegebenheiten im Jahr der Ernte. Bis zu dieser Verkostung hatte ich vom Tokaj Aszú gedacht, dass er der perfekte Abschluss für eine Mahlzeit sei, manchmal wähle ich diesen Wein anstatt eines Desserts, aber mit jedem Schluck begann zu verstehen, dass dies Terroir-Weine sind. Jeder seidige Schluck versetzte mich an den Ort, wo sie gemacht wurden und in das Jahr, in dem sie entstanden sind.

 

Alle Weine kamen von Disznókő, einem der Top-Produzenten der Region. Es ist auch eines der ersten Weingüter, auf das man stößt, wenn man von der Hauptstadt Budapest aus in diesen Teil im Nordosten Ungarns fährt . Die Fahrt dauert etwa 2 Stunden. Es liegt an der Straße 37 in der Nähe der ersten Biegung, die zum Tokaj Berg und nach Tokaj Stadt führt, der historischen Handelsstadt, die der Region ihren Namen gibt. Das erste eindrucksvolle Gebäude, das Sie auf dem Land sehen, das älteste Gebäude von 1732, ist heute die Traktor-Scheune Es ist wohl weltweit der beeindruckendste Traktor-Schuppen. Am Anfang dachte ich, es wäre eine Art Amphitheater. Dahinter befindet sich das Weingut und die historischen Keller. Wie die meisten der historischen Keller in der Region sind die Wände mit einem ganz besonderen, flaumigen schwarzen Schimmel – Cladosporium Cellare – bedeckt, der vom Alkohol lebt, der aus den Fässern verdunstet.

Ein wenig weiter entlang der Straße befindet sich das Restaurant des Anwesens, Sárga Borház (gelbes Haus), eines der besten in der Gegend. Ich saß hier und nippte an Tokajs süßesten Wein, dem Eszencia, aus einem als winzigen Engel geformten Glas, während das Internet voll war mit der „Nachricht“, dass Donald Trumps neues Hotel in Washington DC einen Kristall-Löffel voll vom 2007er Royal Tokaji Essencia für 140 Dollar verkauft. In Sárga Borház kostet diese Zeremonie nur 8 Euro.

Tokaj Aszús sind nie billig Weine, aber sie repräsentieren einen guten Wert, wenn man bedenkt, wie sie gemacht werden. Die eingetrockneten, rosinenartigen Trauben sind handverlesen, Beere für Beere von den erfahrensten Erntehelfern, gerade mal etwa 6 bis 10 Kilogramm pro Tag. Diese Beeren, von denen manche von der „Edelfäule“ betroffen sind, werden in Fässern gelagert, bis die Ernte vorbei ist. Der Saft, der sich naturgemäß am Boden sammelt wird abgezogen und zum Eszencia ausgebaut, der 600-900 Gramm Zucker pro Liter haben kann. Die Beeren werden dann im gärenden Most oder neuen Wein eingeweicht, je nach den Anforderungen des Jahrgangs für 12-60 Stunden und werden durch Pumpen umgewälzt, um den Kontakt mit den Schalen zu erhöhen. Die Traubenmasse, die dadurch entsteht, wird gepresst und der Most darf dann so lange gären, bis sich die gewünschte Balance aus Zucker, Säure und Alkohol einstellt. Anschließend reift der Wein für mindestens drei Jahre, von denen mindestens zwei in Eichenfässern sein müssen.

Der erste Aszú bei der Verkostung, der 2013er, wurde im Juli abgefüllt. Er unterscheidet sich sehr vom 2012er, aufgrund der Wetterbedingungen und der Art und Weise, wie sich die Edelfäule (Botrytis Cinera) entwickelte. Das ist der Schlüssel für alle Jahrgänge: manchmal entwickelt sich die Botrytis langsamer, manchmal sind die Trauben sind nur leicht befallen, die Aromen von getrockneten Früchten sind manchmal stärker und manchmal wirkt es sich nicht auf alle verwendete Rebsorten in gleicher Weise aus. Die 2012er, 2011er und 2009er Weine wurden ausschließlich aus befallenen Furmint Trauben erzeugt, während der Referenzwein aus Furmint und Hárslevelű hergestellt wurde. Die meisten anderen Jahrgänge von Disznókő wurden unter Verwendung der drei wichtigsten Rebsorten hergestellt – in der Regel 55-75% Furmint, 10-40% Zéta und 5-30% Hárslevelű.

Diese Sorten reflektieren auch die Gegebenheiten der Weinberge, die Sie während der Fahrt auf Straße 37 in Richtung Sátoraljaújhely, nahe der Grenze zur Slowakei an den Hügeln sehen. Auf Furmint entfallen etwa 70% der 5.500 Hektar Rebfläche der Region. Auf Hárslevelű entfallen etwa 18%, der Rest besteht aus den anderen Sorten, die für Tokaj Weine zugelassen sind: Sárgamuskotály (Gelber Muskateller), Zéta, Kövérszőlő und Kabar.

Laszlo Mészáros - Direktor von Disznókő Laszlo Mészáros – Direktor von Disznókő

Als wir uns durch die Jahre zurück schmeckten, schien es, dass Laszlo Meszaros, seit dem Jahr 2000 der Director bei Disznókő, nicht die gleichen Bedingungen für jeden Wein hatte. Die Variabilität der alles entscheidenden Botrytis hat bei anderen Hersteller zu einem breiteren Angebot an Weinen geführt. Auf einer dreitägigen Reise durch die Region, früher in diesem Jahr, probierte ich trockenen Versionen der meisten zugelassenen Sorten, halbtrockene Versionen einiger Schaumweine aus Furmint, Hárslevelű und Sárgamuskotály und die umfassendste Palette an Süßweinen aus jeder Region – von Spätlese und der etwas süßeren Édes Szamorodni bis zu zwei Stufen des Aszú (mit 5 und 6 Puttonyos *) , und den reichsten und süßesten von allen, Eszencia.

Beim Weingut Disznókő, das in französischem Besitz ist, machen sie einen guten trockenen Furmint, konzentrieren sich aber eher auf die Aszú Weine. „Die langfristige Ausrichtung liegt auf Tokaji Aszú“ bestätigt Laszlo. „Achtzig Prozent unserer Produktion sind süßen Weinen gewidmet.“

Das in spanischem Besitz befindliche Weingut Oremus konzentriert sich auch auf moderne Aszús: ausgewogen, pur, komplex, Frucht voraus! Wenn Sie die Gegend besuchen und nur Zeit für ein Weingut haben, dann nehmen Sie Oremus in Tolcsva. Tafelleuchter weisen den Weg zu einem sechseckigen Verkostungsraum, wo ein Kronleuchter von der Decke baumelt und die Wände mit dem unheimlichen schwarzen Schimmel bedeckt sind. Abgesehen vom Verkostungsraum ist das Weingut auch sonst sehr beeindruckend, weil es modern und ansprechend gestaltet ist.

Ich habe auch Château Dereszla, im Besitz des ehemaligen Champagner-Produzenten Patrick D’Aulan besucht. Das neue, riesige, Vier-Ebenen-Weingut, hat die Verarbeitung der Trauben im Jahr 2015 begonnen. Es umfasst eine Gesamtfläche von 7.000 Quadratmetern und ist in der Lage, mehr als 1 Million Flaschen pro Jahr zu produzieren. Aber es wird keine Aszú-Weine erzeugen. Diese Anlage ist nur für trockene und halbtrockene Weine, sowie Schaumweine.
Andere Weingüter, die einen Besuch wert sind, wären Gróf Degenfeld, Holdvölgy, Patricius und größte Produzent der Region, das staatliche Grand Tokaj (ehemals Tokaj Kereskedőház). Es investiert gerade 17,1 Milliarden Forint (ca, 55 Mio. EUR) zur Erneuerung des Anwesens. Es gibt eine gewaltige neue Lagerhalle. mit genug glänzendem Edelstahl und neuen Barriques, um 110.000 Hektoliter Wein zu lagern. Davor befindet sich eine neue Abfüllanlage. Zurück zur Straße 37. Es entsteht ein neues Tourismus-Zentrum mit Museum am Beginn der 5,3 Kilometer langen Keller des Betriebes, die im 12. und 13. Jahrhundert gegraben wurden.

Obwohl Grand Tokaj ein riesiges staatliches Unternehmen ist, schmecken die Weine überraschend gut. Winzer Károly Áts, der sich einen Namen bei Royal Tokaji machte, will mit Grand Tokaj Maßstäbe für die Region setzen. Den Weinen nach zu urteilen, die ich in den letzten paar Jahren probiert habe, ist er auf dem richtigen Weg. Mir gefallen vor allem der trockene Furmint aus der Top Lage des Unternehmens in Mád (Kővágó), der „moderne“ halbtrocke Muscat und seine  Einzellagen (Szarvas) 6 Puttonyos Aszú.

Die ungarische Regierung investiert ebenfalls in der Region, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört. Sie investiert 100 Mio. Euro in ein Gemeinschafts-Weinbau-Projekt, das aus drei großen Weingütern rund um die Region bestehen wird, die regionalen Winzern Zugang zu modernen Anlagen bieten werden. Das eigentliche Ziel dieses Gemeinschaftsprojektes, das bis zur 2017er Ernte abgeschlossen sein soll, ist, die Abwanderung der Jugend aus der Gegend zu stoppen.

In den letzten Jahren wurde auch eine Reihe an Verbesserungen bei den Tourismuseinrichtungen erzielt, neue Hotels und Restaurants sprießen geradezu aus dem Boden. Gute Orte zum Essen sind das im Bistro-Stil gehaltene Első Mádi Borház der Familie Szepsy in Mád und das gehobene Restaurant Gusteau Kulinaris Elmenymuhely, ebenfalls in Mád. Zwischen den beiden Weingütern in Tolcsva – Oremus und Grand Tokaj – liegt Os Kaján, ein Restaurant das von einem französischen Paar betrieben wird und traditionelle ungarische Gerichte neu erfindet. Die A Boros Wein-Bar in Sárospatak ist ebenfalls empfehlenswert. Hier gibt es Weine aus dem weniger populären Nordosten der Region sowie aus dem eigenem Weingut, Naár Családi.

Furmint Furmint

Für eine Kaffeepause machen Sie halt beim Tokaj Coffee Roasting Co Kaffeehaus in Tokaj. Es gehört der Familie Erzsébet, deren nahe gelegener Weinkeller im 18. Jahrhundert gebaut wurde, um das russische Königshaus mit Wein zu beliefern, unter anderem für Zarin Elizabeth. „Unsere Leidenschaft für Wein hat sich um die Leidenschaft für den Kaffeegenuss erweitert“ sagt Hajnalka Pracser. Sie können aber auch ihre Weine dort probieren.

Hajnalka und ihr Bruder Miklós gehören zur jungen Generation von Winzern, die von lokalen Legenden wie István Szepsy, János Árvay und Zoltán Demeter inspiriert wurden. Andere junge Winzer, die man beachten sollte sind die Geschwister István und Edit Bai, die hinter den Weinen Dereszla stehen. Sie haben ihr eigenes  kleines Weingut – Carpinus – ebenso wie László Kvaszinger, der kürzlich das Kvaszinger Weingut von seinem Vater übernommen hat. Sein Weinkeller in Olaszliszka liegt direkt am Fluss Bodrog und in der Straße mit Namen ‚Burgundia‘. Er hat eine ausgezeichnete Auswahl an günstigen Furmints, welche die Vielfalt an Apfel, Birnen und Quitten Aromen. eine erfrischende Säure und dezente Würze aufzeigen.

Während meiner Tour habe ich entdeckt, dass viele der Top-Weine aus den Weinbergen kommen, die schon als beste Lagen ausgewählt wurden, als sie im 18. Jahrhundert erstmals klassifiziert wurden, vor allem Disznókö, Szerelmi, Hétszőlő, Betsek, Szent Tamás, Oremus, Király, Nyulászó und Bányász. Also trotz der Reblaus, zweier Weltkriege und mehr als 40 Jahren kommunistischer Herrschaft haben sich einige Dinge nicht geändert.

All dies reflektiere ich, während ich am 2011er Disznókö Kapi Tokaji Aszú 6 Puttonyos nippe. Es ist ein konzentrierter und eleganter von Furmint mit Botrytis-Einfluss aus einer speziellen Parzelle (Kapi genannt), die im oberen Teil der Südhänge von Disznókö liegt. Laszlo erzählt, dass die Ernte am 25. August begann und erst am 30. November endete und dass dieser Wein nur in Ausnahmejahren, wie 1999, 2005 und 2011 produziert wird. Es folgt der 2005er und dies ist ein weiterer erhabener Wein. Überraschend ist, dass ich diese beiden süßen Weine mit meinem Hauptgericht genossen habe.

Nach der vertikalen Probe bei 28-50 Wine Workshop & Kitchen in London, hatte ich ein Vier-Gänge-Menü bei dem zu jedem Gang ein Aszú Wein gepaart wurde. Die Sellerie- und Birnensuppe kam mit einem 2012er und mit einem meiner absoluten Favoriten aller Aszú Weine, dem 2007er. Der Hauptgang von der Wachtel, Pastinaken und eingelegten Rosinen wurde mit den beiden Weinen aus dem Kapi Weinberg gepaart. Der Käse Gang kam mit dem 2002er und 2000er 6 puttonyos und die Apfel Tarte Tatin wurde von Eszencias aus 1999 und 1997 begleitet. Kein Wunder, dass der französische König Ludwig XIV den Tokaji „Wein der Könige, König der Weine.“ genannt hat. Lang lebe der König in allen seinen Erscheinungsformen.

Hinweis: Die größeren Weingüter mit Geschäften heißen Touristen jederzeit willkommen, bei den kleineren Winzern ist eine Voranmeldung nöitg. Ich wurde bei meiner Tour von einem lokalen Experten Gergely „Greg“ Somogyi von tokajwinetours.com begleitet.

* Puttonyos ist eine Maßeinheit für die Süße der Weine, basierend auf der Anzahl der Körbe an Aszú-Trauben, die mit dem Grundwein gemischt werden.  Das System reicht von 3 bis 7 Puttonyos wobei alle Aszú-Weine mindestens mindestens eine 5 haben müssen.

UNTERKÜNFTE

In Tarcal gibt es zwei der besten Hotels der Gegend: das vier-Sterne Gróf Degenfeld Castle Hotel (in einer ehemaligen Wein Schule) und das fünf-Sterne Andrássy Rezidencia Wine & Spa. In Mád ist das Botrytis Hotel der Familie Szepsy und die vor kurzem renovierten Suiten von Barta.


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