Surreale Momente in Moldawien

Übersetzte Fassung des Artikels „Surreal Moments in Moldova“ von Chris Boiling, erschienen im Wine Tourist Magazine, Ausgabe März 2016.

Alle Augen sind auf uns gerichtet. Unser Mercedes Minivan ist, gemessen an den aufgerissenen Augen der an den Straßen spielenden Kinder, für hiesige Verhältnisse riesig. Seine 201 Pferdestärken konkurrieren gegen die von Pferden gezogenen Karren, die in diesem kleinen osteuropäischen Land weiter verbreitet zu sein scheinen. Das funktionelle, klassische Design des Kombis steht im krassen Gegensatz zu den halb fertigen „Palästen“, die durch ein Labyrinth von Schotterpisten miteinander verbunden sind, auf denen wir gerade entlang holpern.

Weingut Purcari
Weingut Purcari

Wir finden uns in einer Ansammlung aus unvollendeten Prestigeprojekten wieder – nackte Hohlblockwände und weiße Säulen mit glänzenden Goldkuppeln, Statuen von Löwen und Pferden in Gärten voller Schutt. Wir sind in Soroca, im Nordosten der Republik Moldawien, in der Nähe der Grenze zur Ukraine, in einer als ‚Gypsy Hill‘ (Zigeunerhügel) bekannten Region.

 

Ein dunkelhaariger Teenager, in schwarzen, teuer aussehenden Schuhen, ebensolchem Gürtel und Armbanduhr, führt uns zum Anwesen seiner Familie. Es ist zweifellos beeindruckend. Das imposante Betonblock-Gebäude ist voll mit antiken Möbeln, Wandteppichen, religiösen Skulpturen, Kristallleuchtern und prächtigen Bildern.

Nach der zweieinhalb-stündigen Fahrt von der Hauptstadt Chişinău hierher, bin ich erstmal reif für ein Bad. Es gibt im Haus tatsächlich ein Bad mit einem kleinen Pool gleich neben der Badewanne.

Als ich ins Esszimmer zurückkomme, wird mir selbst erzeugter Rotwein serviert. Er ist süß und näher am Traubensaft als am Wein. Ich heuchle, dass er köstlich sei. Die Frau des Hauses, die der herrschenden Cherari Dynastie angehört, erklärt, warum ihr Mann und ihre anderen Söhne nicht hier sind. Sie sind gerade in den entfernteren Teilen Russlands und verkaufen “Äpfel und Birnen”, die dort als „exotische“ Früchte gelten.

Das Weintrinken in diesem Roma Palast zählt zu einem der wundersamsten Momente meines Lebens. Aber diese viel zu kurze, viertägige Reise nach Moldawien hielt gleich mehrere solcher surrealen Überraschungen für mich bereit. Ich bin auf dieses ehemalig sowjetische Land aufmerksam geworden, weil es mit auf die längste Geschichte der Weinerzeugung zurück blickt (etwa bis auf 3000 v.Chr.), und sich inzwischen mehr auf die westlichen Exportmärkte ausrichtet, nachdem es mit seinem Hauptexportmarkt, Russland wiederholt zu Problemen kam. Zudem hat es einige sehr interessante, autochthone Rebsorten zu bieten, z.B. die Weißen Sorten Feteasca Alba, Feteasca Regală und Viorica sowie die Roten Feteasca Neagră, Rara Neagră und Saperavi.

Was ich nicht erwartet habe, war so viel selbst produzierter Wein. Aber das ist, was die Einheimischen trinken und was man angeboten bekommt, wenn man in ihre Häuser eingeladen wird oder in eines der rustikalen, bodenständigen Restaurants geht. “Es ist eine Moldawische Tradition – jeder baut Trauben an, macht Wein, hat einen Keller”, erklärt meine Reiseleiterin, Natalia Cojuhari. “Wer dich nicht mit einem eigenen Wein begrüßen kann gehört zur Unterschicht.”

Unterstoßen der Maische für den Hausgemachten Wein
Unterstoßen der Maische für den Hausgemachten Wein

Aber auf das anständige Zeug – also Wein, der Exportaufträge erhält und Anhänger rund um den Erdball gewinnen kann – muss ich noch warten, bis ich eine der neuen oder renovierten Weinkellereien besuchen kann. Jene Weingüter, die einen Teil der 330 Millionen Euro erhalten haben, die der Westen im Laufe des letzten Jahrzehnts in Moldawien investiert hat, um es aus der Umklammerung Russlands zu befreien. Immerhin sind rund ein Viertel der Erwerbstätigen des Landes in der Weinindustrie beschäftigt. Ihr Anteil am Bruttoinnlandsprodukt beträgt mehr als 3%.

Inzwischen habe ich herausgefunden, dass der süße Rotwein im Roma Palast nicht unbedingt typisch für den selbst gemachten Wein ist – die meisten haben eine kräftige Säure, was aber ausgesprochen gut zu den traditionellen Gerichten wie Plăcintă (ein vorzüglich schmeckendes gefülltes Gebäck) und Mămăligă (Polenta, mit Schafskäse und Schmand) passt.

Im Gegensatz dazu sind die Weinkellereien auf der Reiseroute glatt und steril. Die Gebäude sind Innen wie Außen tadellos, die Touren werden professionell geführt und sind gut durchdacht. Die Weine sind so, wie man sie sich von den aufstrebenden osteuropäischen Ländern erwartet, die sich zunehmend in Bezug auf Qualität und Güte positionieren.

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In Moldawien gibt es vier Stationen, die man als Weintourist besucht haben sollte. Die zwei großartigen Chateaus, Purcari und Vartely, und die zwei unterirdischen labyrinth-artigen Keller, Cricova und Mileştii Mici.

Weinkeller von Purcari
Weinkeller von Purcari

Purcari, in der südöstlichen Region, ungefähr 114 km von Chişinău entfernt, wurde 1827 gegründet und ist einfach atemberaubend. Es ist ein Chateau im französischen Stil mit acht Suiten, zwei Restaurants, zwei Seen sowie Kellern, die von den früheren Bewohnern – Mönchen – in Form eines Kreuzes erbaut wurden. Die Bosavan Familie hat den Komplex, unterstützt mit reichlich US-Dollars, wieder aufgebaut, stets im Hinblick auf die Touristen. Allerdings eher auf Reisebuspartien statt Weintouristen.

Die Verkostung bei unserer Tour beinhaltete Chardonnay, Cabernet Sauvignon und einen süßen roten Wein, Cahor, der vor allem in den russisch Orthodoxen Gemeinden beliebt ist. Es ist eigentlich eine Schande, weil Purcari wirklich viel interessantere Weine erzeugt, allen voran die Cuvées bei denen jeweils eine regionale Rebsorte mit einem internationalen Partner in einem 51/49-Verhältnis gepaart wird: Rara Neagră mit Malbec oder Feteasca Alba mit Chardonnay. Und natürlich sein ikonischer Wein, Negru de Purcari, der ein Liebling des russischen Kaisers Nicholas II und der britischem Krone seit den Zeiten König George V gewesen sein soll. Er enthält 70% Cabernet Sauvignon, 25% Saperavi und 5% Rara Neagră. Er hat eine tiefe, rubinrote Farbe, reife Pflaumen, Feigen und Gewürze in der Nase sowie rote und schwarze Früchte mit in Eichennoten eingebunden Gewürzen im Mund.

Ein anderer toller Roter ist der Freedom Blend, eine Cuvée aus 50% Rara Neagră, 45% Saperavi und 5% Bastardo. Purcari gehört zu der steigenden Zahl an Erzeugern, die einen sortenreinen Rara Neagră ausbauen. Diese im Anbau schwierige rote Traube hat einen hohen Gerbstoffanteil bei niedriger Säure, sie kann aber einen eleganten Wein irgendwo im Spektrum zwischen Pinot Noir und Sangiovese hervor bringen. In der Nase rote Kirschen und getrocknete Kräuter, mit Granatapfel und floralen Noten sowie etwas Pfeffer und Gewürze. Im Mund hat er einen mittelkräftigen Körper, frisch, beherrscht von roten Beeren und Dörrobst. Die Säure und die Würzigkeit geben ihm eine angenehme Struktur und einen ordentlichen Abgang.

Frederico Giotto, italienischer Weinmacher und Berater
Frederico Giotto, italienischer Weinmacher und Berater

Der italienische Weinberater Federico Giotto, der seit 2009 mit Purcari arbeitet, hat mir erzählt, warum er ein Anhänger der Weine aus Moldawien ist: “Moldawien hat ein Terroir, das Trauben und Weinen eine großartige Identität verleiht. Die Böden sind gewöhnlich sehr dunkel und reich an organischer Masse, aber es gibt auch einige Regionen, wo es, dank des vulkanischen Ursprungs, einen großen Anteil an Eisen im Boden hat. Genau dort werden einige der besten weißen Weine Moldawiens erzeugt. Abgesehen von den Böden sind die weiteren Elemente, die den Character dieser Weine ausmachen, die Ausrichtung und die Nähe zu den vielen Flüssen des Landes und nicht zu vergessen, der Einfluss des Schwarzen Meers.” Vor allem mag er die “außerordentliche Frische und die Ehrlichkeit der Weine”.

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Château Vartely in Orhei, etwa eine Stunde nördlich von Chişinău, ist ein moderner wirkender Komplex, der aber nicht weniger eindrucksvoll ist, mit Unterkünften in ‚traditionellen‘ Villen, zwei großartigen Verkostungsräumen, einem Restaurant und einem ursprünglichen Weingut. Es ist der Traum eines jungen Winzers aus Moldawien, Arcadie Fosneas, der sein Handwerk in Deutschland erlernt hat und eine spezielle Affinität zu den aromatischen Weißen Feteasca Regală, Sauvignon Blanc und Traminer hat. Die Weinkellerei, Teil eines Öl-Konzerns, besitzt 260 Hektar eigene Rebfläche und hat weitere 150 Hektar unter ihrer Kontrolle, von denen sie Trauben zukauft.

Château Vartely
Château Vartely

Eine weitere Touristenattraktion in der Nähe, die einen Besuch wert ist, ist das orthodoxe Höhlenkloster Orheiul Vechi (Alt-Orhei), das die einzige UNESCO Welterbestätte Moldawiens ist.

Das surreale an diesen Besuchen war, dass man in einem luxuriösen Chateau saß und hochtrabende Themen, wie die Liebe des russischen Dichters Aleksandr Puskin zu den Zigeunern besprach, nachdem man auf seiner Route gerade an so viel Armut vorbei gekommen ist. “Wir stehen an der Spitze der Liste der Unglücklichen”, hat Natalia gestanden. “Es ist ein schönes Land, aber wir mühen uns ab um einigermaßen zu überleben. Wie können Sie glücklich sein, wenn Sie die Rechnungen nicht bezahlen können? Es ist nur der Wein, der uns glücklich macht.”

Eine andere unwirkliche Erfahrung war die Fahrt (!) durch einen Weinkeller. Tatsächlich es ist noch surrealer als das. Die Cricova ‚Keller‘, ungefähr 15 km nördlich von Chişinău, sind eher eine unterirdische Stadt, wo Straßen nach den Rebsorten benannt und die Häuser riesige Eichenfässer sind. Die Tour durch die Tunnels, die in den Kalkstein gegraben sind, hat Zwischenaufenthalte, um zu sehen, wie die Schaumweine der Weinkellerei gemacht werden und um die nationale Weinsammlung zu begutachten. Die Weine datieren zurück bis ins Jahr 1902 und enthalten die Privatsammlungen von Hermann Göring, Wladimir Putin und Angela Merkel. Ich habe Burgunder und Bordeaux aus den 1930er Jahren und kalifornische Weine aus den 1990er Jahren entdeckt.

Die fünf unter einem bestimmten Thema stehenden Verkostungsräume sind so eindrucksvoll wie die 120 km langen Tunnels. Einer ist im ‚Präsidenten‘-Stil gehalten, ein anderer ist Europäisch, und mein Favorit wird ‚Seeboden‘ (Sea Bottom) genannt. Man trinkt hier Moldawiens Antwort auf Prosecco, Crisecco, 80 Meter unter dem Dorf Cricova, aber es fühlt sich an wie 20.000 Meilen unter dem Meer. Völlig unglaublich. Der Crisecco wird aus Feteasca Albă und Muskateller gemacht. Er ist fruchtig und spritzig, aber meine ‚Lieblingsbrause‘ in Cricova war die Cuvée Aleksandr nach traditioneller Methode bereitet – reich, knackig und absolut erfrischend.

Cricova ist aber nicht der größte Weinkeller in Moldawien und hat auch nicht die größte Sammlung an Weinflaschen. Diese Ehre gehört Mileştii Mici, 25 km nördlich von Chişinău, wo sich eine Tour durch die Kalksteingalerien auf 200 km und 2 Millionen Flaschen aufsummiert. Genug für zwei Einträge im Guinnessbuch der Weltrekorde.


Weingut Et Cetera
Weingut Et Cetera

Das Problem mit all diesen Orten, war für mich, die Betonung auf der Infrastruktur, obwohl ich der Weine wegen gekommen bin. So war mein Lieblingsbesuch das Weingut Et Cetera etwa 20 Minuten von Purcari entfernt, nahe dem Ort Crocmaz. Et Cetera wird von den Brüdern Igor und Alex Luchianov geführt, die ihr Geld mit dem Betrieb von Casinos auf Kreuzfahrtschiffen in den USA gemacht haben. Ihre funktionelle fabrikartige Weinkellerei – 2009 eröffnet – und das gemütliche Restaurant, ist von 45 Hektar jungen Weinbergen umgeben. Es war nichts Surreales daran hier auf der Terrasse des Restaurants zu sitzen und eine Auswahl von Alex‘ Weinen zu genießen. Es war ein schieres Vergnügen, und ich war sehr dankbar dafür. Der weiße Cuvée, zu gleichen Teilen aus Chardonnay, Pinot Blanc und Sauvignon Blanc, lief sehr geschmeidig. Ebenso der sortenreine Chardonnay – 15%-Alkohol, aber wunderbar eingebunden. Am meisten Spaß haben aber die roten Verschnitte gemacht. Die Cuvée Rouge war dabei herausragend. Ein Blend aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Saperavi und Rara Neagră. Wir konnten ihn aus der Flasche und aus dem Fass kosten. “Er hat Persönlichkeit”, war Igors Kommentar.

Ich habe ihm gesagt, dass er köstlich sei. Und dieses Mal habe ich es auch so gemeint. Ich habe mich zurückgelehnt und den Sonnenschein im Glas aufgesaugt. Ich hätte dort länger bleiben können. Glücklicher Weise baut die Familie acht Gästezimmer, die ab Frühling 2016 bereit sind. Sie bauen auch ein Weingeschäft in Chişinău, in ihrem Büro über dem besten Weinladen der Stadt, Carpe Diem. Ich hatte dort an meinem letzten Abend in Moldawien zu Abend gegessen. Ja, Speisen in einem Weinladen – eine weitere surreale Erfahrung – aber damit hatte ich auch die Chance bekommen, Weine von kleinen Erzeugern wie Vinăria Nobilă, Äquinoktium, Mezalimpe und DAC. Außerdem konnte ich die eigene Reihe von Carpe Diem vom talentierten Weinbauer Ion Luca kosten, der Leiter der Vereinigung der Kleinen Weinerzeuger Moldawiens ist und auch Wein unter dem Crescendo Etikett macht.

Es hat mir gezeigt, dass es in Moldawien mehr Wein zu entdecken gibt als die Top-Namen, und ich habe versprochen, im nächsten Oktober zur Feier des Nationalen Wein Tags zurückzukommen, um noch mehr der 140 Weinkellereien des Landes zu entdecken.

Wie kommt man hin?

Nach Chişinău, Moldawiens Hauptstadt, können Sie von den meisten europäischen Knotenpunkten wie Frankfurt, München, Mailand, Wien und Bukarest fliegen. Die meisten im Artikel erwähnten Orte sind maximal zwei Stunden von der Hauptstadt entfernt.

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